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in bemerkenswerter Mann hat uns verlassen. Unermüdlich vom Wissensdurst
angetrieben, besaß er eine verblüffende Fähigkeit, theoretische und praktische
Brücken zu schlagen zwischen unterschiedlichsten Disziplinen wie Psychologie,
Spiritualität, Musik und heiligen Pflanzen... Vergleichbar den großen

Männern der Renaissance und der Aufklärung wusste er Integration zu stiften
und Synthesen aus Wissenschaft, Kunst und spirituellem Erwachen zu bilden.

Psychiater, Pianist und von der Gnade des Seins gesegnet, begegnete er
auf der Reise seines Lebens Tótila Albert, Fritz Perls, Idries Shah,
Oscar Ichazo, Bob Hoffman, Suzy Stroke, Muktananda, Tarthang Tulku und
vielen anderen. Mit tiefer Traurigkeit erfüllte ihn der frühe Tod seines
Sohnes Matías. Von ganzem Herzen nahm er sich der Komplexität des menschlichen
Seins, insbesondere des menschlichen Leidens an.

Geprägt von der Bewegung der kalifornischen Gegenkultur in den 60er Jahren,
trug er wesentlich zu Annäherungen zwischen westlichen und östlichen,
den spirituellen Öffnungen verpflichteten Traditionen bei. Er leistete
einen entscheidenden Beitrag zur Entwicklung des Hoffman Prozesses und
er ist einer der Pioniere der transpersonalen und psycholytischen Psychotherapie.
Er entwickelte das Enneagramm der Persönlichkeit rund um die Psychologie
der Enneatypen und entwarf das SAT Programm: „Universität für Liebe und
umfassendes Bewusstsein“, wie er es gerne nannte. In den letzten Jahren
legte er sehr viel Wert auf eine Neugestaltung des Erziehungswesens,
um unsere soziale Welt zu verändern. In einer Zeit, in der mehr und mehr
unsere Werte und Orientierungen verloren gehen, hat er in einzigartiger
Art und Weise beleuchtet, welch große Schwierigkeiten durch patriarchale
Strukturen entstehen und Auswege dazu aufgezeigt. Er hinterlässt uns
über 200 Bücher und Schriften! Wie kaum ein anderer baute er auf die
Kraft der Selbstregulation des Einzelnen und vertraute dem Potential
gegenseitiger Unterstützung und zwischenmenschlicher Hilfe.

In zahlreichen Ländern entstanden um Claudio Naranjo herum Gruppen von
Menschen, interessiert an Wachstum und Transformation. So haben wir,
Katrin und Cherif, uns kennengelernt und erkannt. In dieser Gemeinschaft
sind wir gereift. Unter Claudios, uns Zuversicht schenkender Führung,
haben wir unsere Motivation und Stärken vereint, und seit 2009 bieten
wir, mit Unterstützung unseres gesamten Teams, das internationale SAT
Programm in Deutschland und Frankreich an. Diese wunderbaren und kraftvollen
Seminare bieten einen einzigartiger Raum um sich los zu sagen von ungeliebten
Verhaltens- und Sichtweisen, sich zu befreien von aufgezwungenen Fesseln,
den Mut zum Sein zu entwickeln und zu lernen, das ganz Eigene in Beziehung
zu leben und zu teilen.

Im Laufe der Jahre fanden eine ganze Reihe weiterer internationaler Workshops
statt, jeder für sich neuartig und einmalig.
2010 in Todtmoos und anschließend
2012 in Paris stellte Claudio Naranjo
die Enneatypen und Subtypen einem internationalen Publikum vor. In
Montpellier
fand 2015 eine intensive Begegnung mit dem Genie Balzac und seiner menschlichen
Komödie statt. Dies war die Gelegenheit, die Enneatypen im Spiegel von
Literatur und Kulturgeschichte zu begreifen und die Figuren seiner menschlichen
Komödie spielerisch zu gestalten und auszudrücken.
2016, in Bad Meinberg
und
2017 in ZIST verzauberte Claudio uns mit seinem musikalischen Gespür
für klassische Musik und lehrte uns, deren Wesen und Essenz als Sprachform
von Transzendenz zu erfahren. Gesundheitlich schon sehr geschwächt, schickte
er uns
im vergangenen Jahr von seinem Haus in Barcelona aus, während
eines Seminars in der Nähe von Bremen auf eine unglaubliche Reise: wir
entdeckten und tauchten ein in persönliche Höllen, Fegefeuer und Paradiese
in ihrer Entwicklung weit fortgeschrittener Persönlichkeiten. Seine Lebenserfahrung
und das Wissen um seinen baldigen Tod verliehen seinen Worten die Kraft
eines persönlichen Vermächtnisses hinsichtlich Wichtigkeit und Herausforderung
unserer geistigen Entwicklung.

Welch Fülle schöner Geschenke!

Wir werden Claudios klare Vision vermissen, und es liegt nun an uns, ohne
ihn eine neue Etappe einzuleiten. Wir greifen mit Dankbarkeit sein Vermächtnis
auf und verpflichten uns, das Erbe seiner Weisheitslehre zu hüten und
gedeihen zu lassen, indem wir seinem Geist, unserem Wachstum und unserer
Kreativität treu bleiben.
Katrin Reuter, Cherif Chalakani und das gesamte Team SAT Deutschland Frankreich